Nachwuchs in pandemischen Zeiten
Die Brutsaison neigt sich langsam dem Ende zu. Seit nun mehr als zwei Wochen sehe ich hier überall den Vogelnachwuchs durch die Vegetation huschen. Wie auch schon bei den Gelegefunden, waren es die Küstenseeschwalbenküken, die ich zuerst entdecken durfte. Das ist aber auch kein Wunder, da diese direkt unterhalb meiner Hütten brüten und ich um diese Begegnungen gar nicht herumkomme. Das kann dann schon mal anstrengend für beide Seiten werden. Mein täglicher Weg zur Toilette führt nämlich dicht an den Gelegen der Küstenseeschwalben vorbei. Ein Paar war dabei besonders unerschrocken oder kontaktfreudig und hat ihr Gelege unmittelbar neben dem roten Klohäuschen platziert. Mittlerweile muss ich aufpassen, dass die Küken nicht unter der Tür hereinkommen. Privatsphäre ist aktuell nur bedingt möglich.
Foto 1: Direkte Nachbarn am Klohäuschen. Foto: Jannis Dimmlich.
Nicht nur die Küstenseeschwalben haben Nachwuchs, auch Rotschenkel, Flussseeschwalbe, Eiderente und Austernfischer haben ihre Küken in der direkten Nachbarschaft den Hütten erfolgreich ausgebrütet.
Foto 2: Austernfischer mit Küken. Foto: Jannis Dimmlich.
Nach dem zwischenzeitlichen Bangen um die Kolonien hier auf Norderoog aufgrund des Landunters am 28.05.2022, gibt es zum Glück wieder Grund zur Hoffnung. Die gefürchtete, nächtliche „Kükenflut“ hat nicht alle Bereiche der Hallig überspült. Vor allem die höher liegenden Bereiche entlang der Nordseite der Hallig, wo Brandseeschwalben, rotfüßige Seeschwalben und Einzelbrüter wie Rotschenkel brüten, sind verschont worden. Betroffen waren vornehmlich die Lachmöwen, die in den niedrigeren Bereichen der Hallig brüten. Aber auch hier konnten bei einem Kontrollgang einige Gelege gefunden werden, die die Flut überstanden haben und nun sind auch zahlreiche Lachmöwenküken im Schutz der Vegetation zu entdecken. Viele Lachmöwen haben, sobald die Flut vorüber war, mit einem Nachgelege begonnen, sodass auch hier in den nächsten Wochen mit einer zweiten Kükenwelle zu rechnen ist. Außerdem konnten neue Ansiedlungen von rotfüßigen Seeschwalben beobachtet werden. Im Westen der Hallig hat sich eine Kolonie aus ca. 25 Küstenseeschwalbenpaaren niedergelassen. Im Süden entwickelt sich eine Kolonie von bis zu 80 Flussseeschwalbenpaaren.
Foto 3: Hohe Wasserstände Ende Mai. Foto: Jannis Dimmlich.
Ein weiterer Verlust durch die hohen Wasserstände sind allerdings die Zwergseeschwalbengelege auf der Südseite des Norderoogsandes. Hier hat die Primärdüne nicht gereicht, um die Eier der rund 70 Brutpaare zu schützen. Diese scheinen jetzt einen zweiten Versuch auf dem Japsand bei Hooge gestartet zu haben.
Für die Brandseeschwalben ist die Brutsaison bisher glücklich verlaufen. Am 31.05.2022 habe ich in der östlichen Teilkolonie die ersten Küken entdeckt. Durch das Bruterfolgsmonitoring hatte ich in den letzten Wochen das Glück einige Male in den Kolonien nach dem rechten zu sehen. Am 05.06.2022 reiste dann das Beringungsteam nach Norderoog, um dem Nachwuchs einen kleinen „Personalausweis“ mit auf den Weg zu geben. Jeweils morgens und abends bei wenig Wind und milden Temperaturen haben wir in Zweierteams die Teilbereiche der Kolonien begangen, die Jungvögel gewogen, vermessen und anschließend einen Ring an ihrem linken Bein platziert. Jeder dieser kleinen Ringe trägt eine Nummer, sowie die Bezeichnung „Helgoland, Germania“, sodass die zuständige Vogelwarte zuzuordnen ist. Mit Hilfe dieser Ringe können Totfunde entlang des gesamten Zugweges gemeldet werden. Neben den kleinen Metallringen haben einige der Jungvögel auch sogenannte „Ableseringe“ bekommen. Diese Ringe sind ein bisschen größer, sodass die Kennnummern auch bei guten Sichtverhältnissen mit Hilfe von Kamera oder Spektiv bei lebenden Individuen abgelesen werden können. Mit Hilfe dieser Daten, können mögliche Wanderungen der Individuen zwischen den einzelnen Kolonien, sowie das Zuggeschehen z.B. in Bezug auf klimatische Veränderung oder Nahrungsverfügbarkeit interpretiert werden. Dank dieser Beringungsprojekte wissen wir beispielsweise, dass hier auf Norderoog jährlich einige internationale Gäste aus den Niederlanden, Spanien oder aus dem Ostseeraum brüten.
Fotos 4: Ablesering. Foto: Jannis Dimmlich.
Foto 5: Vogelwart Jannis beim Beringen der Küken in der Bruvogelkolonie. Foto: Anna-Sophia Noirhomme.
Foto 6: Wenige Tage alte Brandseeschwalbe. Foto: Jannis Dimmlich.
Die Vernetzung der unterschiedlichen Seevogelkolonien, aber auch der jeweiligen Wissenschaftler:innen die sie untersuchen, ist aktuell ein relevantes Thema. Bereits während der Beringung haben uns hier auf Norderoog zahlreiche besorgniserregende Meldungen von Kolonien aus dem Ostseeraum, Frankreich oder den Niederlanden erreicht. Das aktuelle Vogelgrippe-Virus scheint vor den Seevogelkolonien keinen Halt zu machen bzw. trifft diese aktuell besonders hart. Viele Kolonien verzeichnen bereits zahlreiche Verluste von Altvögeln, teilweise kommt es zur kompletten Aufgabe von Kolonien. Auf Norderoog haben wir auch zahlreiche tote Küken finden müssen, die nach einer Untersuchung im Landeslabor auch positiv auf das Virus getestet wurden. Die Beringungen wurden vor dem ersten Nachweis von Vogelgrippe unter Hygienemaßnahmen durchgeführt. Seitdem haben wir alle Beringungsaktionen als Verein Jordsand aus Sicherheitsgründen eingestellt.
Im Vergleich zu anderen Kolonien heilten sich die Totfunde der Seeschwalben- und Lachmöwenaltvögel bis dato in Grenzen (Stand Mitte Juni 2022). In den letzten Tagen haben sich hier mehrere hundert neue Brandseeschwalben im Süden der Hallig angesiedelt. Möglicherweise sind dies Gruppen aus stärker betroffenen Kolonien. Wanderungen während der Brutzeit sind jedenfalls nicht untypisch. Ich kann nur hoffen, dass es hier auf Norderoog weiterhin eher „ruhig“ bleibt, denn tiermedizinisch helfen kann man den infizierten Tieren leider nicht.
Foto 7: Brandseeschwalbe mit verendetem Partner. Foto: Jannis Dimmlich.
Update Anfang Juli 2022: Mittlerweile hat sich die Vogelgrippe-Situation leider auch auf Norderoog verschärft. Die aktuellen Massensterben sind für bereits im Bestand gefährdete Arten wie bei den Seeschwalben ein ernsthaftes Problem! Damit sie nicht aussterben, müssen die weltweiten Schutzbemühungen dringender denn je vorangetrieben werden. Geeignete störungsfreie Brut- und Rastplätze müssen wir mehr werden und nicht weniger! Dafür setzen wir uns bereits seit 1907 ein und anhand der großen Bedrohungslage werden wir unseren Einsatz für die Seevögel und die Natur noch verstärken. Das können wir aber nur mit Eurer Hilfe! Mit Euren Spenden können wir die einzigartigen Naturlandschaften an den deutschen Küsten wieder zu intakten Ökosystemen machen und die bestehenden Schutzgebiete schützen und mit Artenschutzprogrammen weiterentwickeln. Mehr dazu hier.
Im Namen der Seevögel bedanken wir uns ganz herzlich für Eure Unterstützung!