Ahrensburg – Der Verein Jordsand hat die Flussseeschwalbe zum „Seevogel des Jahres 2020“ gewählt.
Die elegante Küstenbewohnerin steht hierzulande exemplarisch für die beiden globalen Umweltkatastrophen unserer Zeit: den Klimawandel und den dramatischen Verlust der biologischen Vielfalt.
In Deutschland hat die Flussseeschwalbe leider einen festen Platz auf der Roten Liste der gefährdeten Brutvögel eingenommen und gilt seit 2007 mit einem Bestand von 9.000-10.500 Paaren als stark gefährdet.
„Auch in unseren Seevogel-Schutzgebieten an Nord- und Ostsee bemerken wir den langfristigen Rückgang“, sagt Mathias Vaagt, Vorsitzender des Vereins Jordsand. „Auf der Insel Scharhörn in der Elbmündung hatten wir Anfang der 1980er Jahre noch bis zu 3200 Brutpaare, doch seit 2008 brütet dort keine einzige Flussseeschwalbe mehr.“ Auf der kleinen vereinseigenen Hallig Norderoog im nordfriesischen Wattenmeer wurden in den 1950er Jahren bis zu 770 Brutpaare gezählt – heute sind es nur noch rund dreißig.
Einst war der Seevogel des Jahres 2020 auch entlang der Flüsse des deutschen Binnenlandes weit verbreitet, bis er dort aufgrund der massiven Uferbefestigungen keine natürlichen Kies- und Sandbänke als geeignete Brutplätze mehr vorfand und wegen Nahrungsmangels durch Gewässerverschmutzungen vertrieben wurde. Seit ihrem Rückzug an die Küsten wird die am Boden brütende Flussseeschwalbe zunehmend von Beutegreifern wie Füchsen und Mardern verfolgt, die im Bestand zunehmen. Die Vierbeiner bereichern mit den Eiern und Küken des Vogels ihren Speiseplan. Die besten Brutplätze fand die Art deshalb zunächst auf den von Raubsäugern freien Inseln und Halligen im Wattenmeer. „Dort wird sie nun immer stärker vom Meeresspiegelanstieg bedroht, der durch den Klimawandel verursacht wird“, beklagt Mathias Vaagt. Die Nester der Flussseeschwalbe liegen meist nur ca. 20 Zentimeter über der mittleren Hochwasserlinie. Die Zunahme von Sommersturmfluten führt inzwischen zu häufigen Überflutungen der Brutplätze und damit zur Zerstörung der Gelege oder zum Ertrinken der geschlüpften Küken.
Für das Wattenmeer konnte nachgewiesen werden, dass das Mittlere Tidehochwasser (MHW) in den Monaten Mai bis Juli im Zeitraum von 1971 bis 2008 jedes Jahr um durchschnittlich 4,1 Millimeter gestiegen ist. Damit liegt der Meeresspiegelanstieg an unserer Nordseeküste über dem globalen Wert von 3,6 Millimetern, den der neueste Sonderbericht des Weltklimarates IPCC ausweist. Und der Meeresspiegelanstieg beschleunigt sich zunehmend, da nicht mehr nur die thermische Ausdehnung des Wassers wirksam wird, sondern inzwischen das Abschmelzen von Gletschern und Polkappen die Meere anschwellen lässt. Setzt sich diese dramatische Entwicklung fort, und danach sieht es aus, steht das Meerwasser 2100 bis zu 1,10 Meter höher als in der vorindustriellen Zeit. „Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, dass die Flussseeschwalben dann ein Problem haben“, so Mathias Vaagt. „Sie gehören zu den Klimaflüchtlingen, die keine Zufluchtsstätten mehr finden.“ Schon heute brüten im Wattenmeer 96 Prozent der Flussseeschwalben auf Brutplätzen, die einem Überflutungsrisiko ausgesetzt sind, und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nest der Flussseeschwalben überflutet wird, liegt bei 84 Prozent.
Arved Fuchs als Schirmherr
Die Schirmherrschaft für den Seevogel des Jahres 2020 hat der Expeditions- und Polarforscher Arved Fuchs übernommen. Arved Fuchs ist seit mehr als 40 Jahren monate- oder sogar jahrelang auf den Ozeanen in Arktis und Antarktis unterwegs und war schon immer fasziniert von den agilen Flugkünsten der Seeschwalben, die sein Forschungsschiff Dagmar Aan auf seinen Reisen häufig begleiten. „Wir sind auch schon sehr mobil, wir haben in den zwei Jahren, in denen wir in Grönland gewesen sind, insgesamt 7.000 Seemeilen mit dem Schiff zurückgelegt, das sind dann so ungefähr 13.000 km. Die Reisen der Flussseeschwalben sind aber noch ganz andere Dimensionen, das ist wirklich bemerkenswert.“
Laut IPCC-Sonderbericht hat sich die Haupt-Ursache für das Ansteigen des Meeresspiegels verschoben: Zwar nimmt die Erwärmung des Meerwassers und die damit verbundene thermische Ausdehnung weiterhin deutlich zu – den größten Beitrag aber liefert inzwischen das Abschmelzen der antarktischen und grönländischen Gletscher. Auch Arved Fuchs Beobachtungen stimmen mit diesen Ergebnissen überein. Nachdem die Nord-West-Passage in den 90er Jahren noch mühselig und gefährlich war -und die Crew im Jahr 1993 erst das dritte Schiff war, dass ohne Eisbrecher die Passage durchfahren konnte- gelang die Passage 2002 ohne Probleme.
Arved Fuchs möchte mit seiner Schirmherrschaft dazu beitragen, dass die sich stark verändernden Lebensräume der Flussseeschwalbe mehr Beachtung und Schutz erfahren. Wir freuen uns sehr über seine Bereitschaft, den Verein Jordsand beim Schutz der Flussseeschwalben zu unterstützen.
Seit mehr als 111 Jahren hat sich der Verein Jordsand dem Schutz von Seevögeln an unseren Küsten verschrieben. Er betreut über 20 Schutzgebiete vorwiegend an Nord- und Ostsee, von Helgoland über das nordfriesische und hamburgische Wattenmeer, die Unterelbe, bis zur schleswig-holsteinischen und vorpommerschen Ostseeküste rund um Rügen. Zum mittlerweile siebten Mal ernennt der Verein Jordsand einen seiner Schützlinge zum Seevogel des Jahres. Nach dem Austernfischer (2014), der Brandseeschwalbe (2015), dem Basstölpel (2016), der Eisente (2017), dem Sandregenpfeifer (2018) und der Eiderente (2019) wurde nun die Flussseeschwalbe zum Seevogel des kommenden Jahres bestimmt. Weitere Infos auf www.jordsand.de.