Organisierter Seevogel-Tod aus Deutschland
01.09.2019
Ein Mann kniet in einem kleinen Fischerboot, doch statt einer Angelroute hält er eine zweiläufige Flinte im Arm, vor sich ausgebreitet seine Trophäen: 29 tote Seevögel, vom Tordalk über Gryllteist bis zur Trottellumme, geschossen von Touristen in den Gewässern rund um Island. Bei den zum Teil dramatischen Rückgängen vieler Seevogel-Bestände im Nordatlantik und seinen angrenzenden Meeren wie der Nordsee, die unermüdliche Wissenschaftler zu erforschen und engagierte Naturschützer aufzuhalten versuchen, ist es besonders erschreckend und abscheulich, dass unter anderen auch Unternehmen aus Deutschland zur Jagd auf Seevögel auf Island blasen – im Internet via Suche nach „Seevogeljagd Island“ leicht zu finden. Auf Web-Seiten werden diese zweifelhaften Vergnügen vollmundig angepriesen: neben anderen Opfern, darunter auch Seehunde und Kegelrobben, können Tordalken, Trottel- und Dickschnabellummen, Papageitaucher und Grylteiste sowie Eissturmvögel, Eisenten und Möwen erlegt werden. Ein Fest für anspruchsvolle Jagdtouristen.
Doch wie muss man diese Umtriebe tatsächlich bewerten? Seevögel gehören weltweit zur am stärksten bedrohten Gruppe aller Wirbeltiere überhaupt, wie unzählige wissenschaftliche Studien belegen. Zwei Drittel aller Arten und damit ca. 45 % der gesamten weltweiten Seevogelpopulation sind allein durch Beifang in der Fischerei, invasive Arten an den Brutplätzen und den Klimawandel gefährdet. Die globalen Bestände von Seevögeln sind im Zeitraum von 1950 bis 2010 um 70 % eingebrochen. So wird beispielsweise der Gesamtbestand der Eisente in den Brutgebieten von Nordeuropa bis Westsibirien heute auf 1,6 Millionen Individuen geschätzt – im Jahr 2002 waren es noch 4,6 Millionen Vögel. Und beim Papageitaucher wird ein Rückgang beobachtet, der innerhalb von drei Generationen bis 2065 einen massiven Verlust von etwa 50-80 % des Weltbestandes befürchten lässt. Beide Arten werden auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN als gefährdet geführt. Die Brutvögel des Lummenfelsens auf Helgoland (Tordalken, Trottellummen und Eissturmvögel), einem Schutzgebiet des Vereins Jordsand, überwintern teilweise auch im Nordatlantik, wo sie unmittelbar vom Abschuss bedroht werden. So kann der Seevogel-Tod auf Island auch direkte Auswirkungen vor unserer Haustür zeigen.
„Wenn jetzt wieder Jagden auf Seevögel organisiert werden, erinnert das an die dumpfe Ballerei sogenannter Sportschützen, die vor gut einhundert Jahren auf der Hallig Jordsand, dem Sylter Ellenbogen und in anderen Brutkolonien zum Freizeitvergnügen Seeschwalben und andere Meeresvögel vom Himmel holten“, beklagt Mathias Vaagt, Erster Vorsitzender des Vereins Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur. In Deutschland sind diese Zeiten, auch dank des Einsatzes des Vereins Jordsand, zum Glück vorbei. Denn das Schießen der Vögel damals wie heute auf Island, von findigen Geschäftsleuten organisiert, hat weder etwas mit jagdlicher Hege noch mit der etwaigen Tradition einer einheimischen Inselbevölkerung zu tun. „Es ist nichts weiter als der stupide Zeitvertreib übersättigter Mitteleuropäer auf der Suche nach dem letzten Kick“, so Vaagt, „auf Kosten einer einzigartigen Natur, die unseren Schutz dringend benötigt!“ Seit über 100 Jahren hat sich der Verein Jordsand dem Schutz von Seevögeln an unseren Küsten verschrieben. Er betreut mehr als 20 Schutzgebiete vorwiegend an Nord- und Ostsee, von Helgoland über das nordfriesische und hamburgische Wattenmeer, die Unterelbe, bis zur schleswig-holsteinischen und vorpommerschen Ostseeküste rund um Rügen.
Papageitaucher Nordsee_Foto U. Bolm-Audorff:Papageitaucher, die Clowns der Meere, sind ausschließlich imNordatlantik verbreitet.
Foto: U. Bolm-Audorff
Jagdbeute Papageitaucher_Foto J.K. Jensen: Das erschreckende Ende einer Seevogeljagd: getötete Papageitaucher.
Foto: J. K. Jensen
Kontakt
Verein Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur e.V.
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Bornkamsweg 35
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